Auflagen und Varianten der Reichskassenscheine von 1874
Inhaltsverzeichnis
- 1 Allgemeines
- 2 Die Reichsschuldenverwaltung
- 3 Die Aufsicht über die Reichsschuldenverwaltung
- 4 Die Reichsschuldenkommission
- 5 Die Berichte der Reichsschuldenkommission
- 6 Die stenografischen Berichte des Reichstages
- 7 Grundlagen der Berichte und Übersichten
- 8 Umlaufvolumen
- 9 Stückelung nach Abschnitten
- 10 Einziehung der Reichskassenscheine
- 11 Vernichtung von Reichskassenscheinen
- 12 Herstellungsvolumen der Reichskassenscheine von 1874
- 13 Zusammenhang zwischen den Ausfertigungsmerkmalen
- 14 Schlussfolgerung
- 15 Vergleich mit aktueller Literatur
- 16 Offene Punkte
- 17 Literatur- und Bildnachweis
Allgemeines
Die Archive der Reichsschuldenverwaltung und der Reichsdruckerei gelten als verschollen. Daher wurde angenommen, dass auch die Nachweise über die Ausfertigung und Vernichtung von Reichskassenscheinen verloren sind. Tatsächlich sind sowohl die diesbezüglichen Übersichten der Reichsschuldenverwaltung erhalten, als auch die Ergebnisse der durch die Reichsschuldenkommission durchgeführten zusätzlichen Revisionen. Die erste Übersicht, für das Rechnungsjahr 1874, datiert vom 15.11.1875, die letzte Revision, für das Rechnungsjahr 1925, datiert vom 04.02.1926. Das Rechnungsjahr (Etatjahr, Haushaltsjahr) der Reichschuldenverwaltung, entsprach bis 31.12.1876 dem jeweiligen Kalenderjahr. Seit 01.04.1877 erstreckte sich das Rechnungsjahr vom 01.04. des laufenden Kalenderjahres bis zum 31.03. des Folgejahres.
Die Reichsschuldenverwaltung
Die preußischen Hauptverwaltung der Staatsschulden verwaltete sowohl die Schulden Preußens, die des Norddeutschen Bundes und die des Deutschen Reiches (Gesetz vom 30.04.1874) nach den maßgeblichen preußischen Vorschriften. Im Zusammenhang mit der Verwaltung der Reichsschulden führte sie den Titel Reichsschuldenverwaltung. Sie war unter Anderem dafür verantwortlich Reichsschulddokumente und Reichskassenscheine zu verwalten also an- und auszufertigen, auszureichen und wieder einzuziehen, sowie die Fälschungen aller Reichspapiergeldarten zu ermitteln und zu verfolgen. Diese Verwaltung der Schulddokumente wurde durch ein besonderes untergeordnetes Organ, die "Controlle der Staatspapiere" durchgeführt.
Die Aufsicht über die Reichsschuldenverwaltung
Die Arbeiten der Staatschuldenverwaltung in ihrer Eigenschaft als Reichsschuldenverwaltung unterlagen der Aufsicht der Reichsschuldenkommission. Alljährlich legte sie dieser eine Übersicht über die Verwaltung der norddeutschen Bundes- und der deutschen Reichsschuld für das abgelaufene Rechnungsjahr vor. Reichsanleihen und Reichsschatzanweisungen wurden dabei als verzinsliche Reichsschuld, Reichskassenscheine als unverzinsliche Reichsschuld bezeichnet. In den Übersichten wurden unter Anderem tabellarische Nachweise über die Verausgabung, den Umlauf, den Umtausch von Kassenscheinen, sowie über die Deponierung und Vernichtung der nicht eingelösten Schulddokumente und Reichskassenscheine geführt.
Die Reichsschuldenkommission
Diese wurde ursprünglich zur Kontrolle der Verwaltung der Schulden des Norddeutschen Bundes ins Leben gerufen, Gesetz vom 19.06.1868. Mit dem Gesetz vom 11.11.1871 wurde ihre Kontrolle auf die Verwaltung der Reichsschuld erweitert und sie wurde als Reichsschuldenkommission bezeichnet. Neben der oben genannten Kontrolle übte die Reichsschuldenkommission weitere Überwachungsaufgaben aus. Über ihre Tätigkeit berichtete die Kommission dem Reichstag und dem Bundesrat jährlich in schriftlicher Form. Nach Beratung des Berichtes wurde durch den Reichstag Entlastung für das darin nachgewiesene Verwaltungshandeln erteilt.
Die Berichte der Reichsschuldenkommission
Diese Berichte der Reichsschuldenkommission enthielten eine kurze Zusammenfassung der oben genannten Übersichten, sowie die Ergebnisse der selbst durchgeführten Revisionen, welche zu einem Zeitpunkt nach dem Anschluss des Rechnungsjahres, kurz vor der Erstellung des Berichtes vorgenommen wurden. Die Übersichten der Reichsschuldenverwaltung für das abgelaufene Rechnungsjahr waren als Anlage Bestandteile dieser Berichte. Die Berichte wurden als Aktenstücke gedruckt und den Abgeordneten des Reichstages zur Verfügung gestellt.
Die stenografischen Berichte des Reichstages
In 527 gedruckten Bänden wurden im Zeitraum von 1867 bis 1942 kontinuierlich Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Norddeutschen Bundes, des Zollparlaments und des Reichstags angefertigt. Durch die Bayerische Staatsbibliothek wird eine vollständige digitalisierte Ausgabe der parlamentarischen Berichte einschließlich aller Anlagen online angeboten. Diese beinhaltet auch die Berichte der Reichsschuldenkommission und die Übersichten der Reichsschuldenverwaltung. Ausgenommen ist die Übersicht für das Rechnungsjahr 1920 welche aus Gründen der Sparsamkeit im Reichstag lediglich ausgelegt und daher nicht gedruckt wurde.
Grundlagen der Berichte und Übersichten
Die Reichskassenscheine waren gleichzeitig Schuldurkunden und Zahlungsmittel. Dementsprechend waren die diesbezüglichen Berichte der Reichsschuldenkommission und die Übersichten der Reichsschuldenverwaltung gestaltet. Sie verfolgten erstens den Nachweis, dass zu keinem Zeitpunkt mehr als das gesetzlich vorgeschriebene Volumen an Reichskassenscheinen (in Mark) im Umlauf war und dass zweitens die Stückelung des im Umlauf befindlichen Volumens nach den verschiedenen Abschnitten des Zahlungsmittels den jeweils gültigen Vorgaben des Bundesrates und/oder denen des Reichskanzlers entsprach.
Umlaufvolumen
Das Umlaufvolumen der ungedeckten Reichskassenscheine war Teil der zinslosen Schuld des Reiches, welches durch Gesetz festgelegt war. Die unverzinsliche Reichsschuld aus Reichskassenscheinen bestand anfangs aus dem „Definitiven Anteil“ und den „Vorschüssen“. Zu einem späteren Zeitpunkt gab es auch noch gedeckte Reichskassenscheine.
Der Bemessung des „Definitiven Anteils“ lagen Überlegungen zum Umfang des Bedarfs an Zahlungsmitteln der betroffenen Abschnitte von 5, 20 und 50 Mark zugrunde. Das Umlaufvolumen aus dem „Definitiven Anteil“ war mit 120.000.000 Mark festgelegt.
Die Vorschüsse dienten der zeitlich gestreckten Entschuldung der Bundesstaaten. Die Höhe der „Vorschüsse“ betrug 2/3 der Differenz zwischen dem „Definitiven Anteil“ und der Summe des vormals im Umlauf befindlichen Volumens an Staatspapiergeld der einzelnen Bundesstaaten. Die Vorschüsse betrugen anfangs insgesamt 54.889.941 Mark. Sie wurden in den Jahren 1876 bis 1890 in jährlichen Raten zu 3.659.320 Mark (letzte Rate 2.908.940 Mark) zurückgezahlt. Die Reichskassenscheine aus zurückgezahlten Vorschüssen wurden jährlich in einer Charge vernichtet. Der Nachweis über den jeweiligen Stand der Vorschüsse war Bestandteil der Übersicht.
Das jeweils gesetzlich vorgeschriebene Umlaufvolumen wurde ausnahmslos exakt eingehalten.
Stückelung nach Abschnitten
Die Festlegung der Stückelung des Umlaufvolumens nach den verschiedenen Abschnitten wurde bestimmt von den Anforderungen des täglichen Zahlungsverkehrs als auch (zeitlich begrenzt) von den Anforderungen an eine möglichst schnelle Ausgabe bzw. den möglichst schnellen Umtausch in Reichskassenscheine neuerer Ausgaben. Die Details zu der Aufteilung nach Abschnitten wurden per Verordnung vom Bundesrat oder auch vom Reichskanzler festgelegt. Die Reichskassenscheine, welche gegen solche anderer Stückelung umgetauscht worden waren, wurden vernichtet.
Einziehung der Reichskassenscheine
Die Reichskassenscheine der Ausgabe von 1874 wurden häufig gefälscht, so dass diese schon bald durch Reichskassenscheine neuerer Ausgabe von 1882 ersetzt wurden. Nach dem „Gesetz betreffend die Einziehung der mit dem Datum 11.Juli 1884 ausgefertigten Reichskassenscheine, vom 21. Juli 1884“ konnten die Scheine der Ausgabe 1874 vom 01.07.1885 an nur noch bei der Königlich preußischen Kontrolle der Staatspapiere eingelöst werden. Durch das Gesetz verloren die alten Reichskassenscheine jedoch nicht ihre Eigenschaft als Schuldurkunde. Alle nicht eingelösten alten Reichskassenscheine galten weiterhin als im Umlauf befindlich und waren sowohl bei der gesetzlich vorgeschriebenen Höchstumlaufmenge als auch bei der Umlaufmenge nach Abschnitten weiterhin zu berücksichtigen. Zum Umtausch der alten Scheine wurden Reichskassenscheine neuerer Ausgabe in gleichem Umfang (und möglichst in gleichen Abschnitten) bei der Königlich preußischen Kontrolle der Staatspapiere vorgehalten. Dadurch waren die Reichsschuldenverwaltung als auch die Reichsschuldenkommission bis 1926 gezwungen in ihren Aufstellungen sowohl das Volumen der alten noch im Umlauf befindlichen Reichskassenscheine nach Ausfertigungsdatum, als auch den aktuellen Umlauf der alten Reichskassenscheine nach Abschnitten nachzuweisen.
Vernichtung von Reichskassenscheinen
Die Vernichtung von Reichskassenscheinen ist in den Übersichten der Reichsschuldenverwaltung nachgewiesen. In den Tabellen werden der Vernichtungstermin und das vernichtete Volumen an Reichskassenscheinen je Charge angegeben. Zu einem Vernichtungstermin konnten mehrere Chargen vernichtet werden. An Chargen wurde unterschieden hinsichtlich Vorschüsse, Ausfertigungsdatum, umgetauscht gegen Scheine neuerer Ausfertigung, umgetauscht gegen Scheine gleicher Ausfertigung, Bestand bei der Kontrolle für Staatspapiere. Nach den verschiedenen Abschnitten wurde bei der Vernichtung nicht unterschieden. Auf die Vernichtungstermine und die dort angegebenen Volumina lassen sich sowohl die Angaben aus den Revisionen der Reichsschuldenkommission als auch die weiteren Angaben aus den Übersichten der Reichsschuldenverwaltung zurückführen.
Herstellungsvolumen der Reichskassenscheine von 1874
In Ihrem Bericht vom 16.04.1883 stellt die Reichsschuldenkommission fest, dass bis zum 09.03.1883 ein Volumen von 239.379.905 M an Reichskassenscheinen von 1874 und 114.750.000 M an Reichskassenscheinen von 1882 ausgefertigt worden waren. Darüberhinaus wurden keine Reichskassenscheine von 1874 mehr ausgefertigt. Das Volumen von 239.379.905 M konnte sowohl über die Einzelaufstellungen zur Vernichtung als auch über die zur Inbetriebnahme und den Umtausch bestätigt werden. Aus den letztgenannten Aufstellungen lässt sich das Gesamtvolumen nach Abschnitten aufteilen und so die einzelnen Sollwerte ermitteln:
Anmerkung: Da sich in den Dokumenten nicht alle Konsolidierungen nach Abschnitten auflösen lassen, sind einige Werte in der Tabelle aus anderen Angaben angenähert. Diese Einträge sind kursiv dargestellt. Die daraus resultierenden (geringen) Abweichungen sind unter den Summen/Stückzahlen angegeben.
Den Angaben zufolge wurden mindestens an- und ausgefertigt an Abschnitten zu:
- 50 M: 1.896.427 Stück
- 20 M: 2.738.060 Stück
- 5 M: 17.481.531 Stück
Bei der letzten Revision (04.02.1926) waren davon noch im Umlauf, Abschnitte zu:
- 50 M: 2.074 Stück
- 20 M: 10.223 Stück
- 5 M: 100.725 Stück
Davon ausgenommen sind 2.389.700 M an Reichskassenscheinen welche 1875/76 nach einer Revision als „bei der An- und Ausfertigung verdorben“ vernichtet wurden und wofür keine Angaben zu den einzelnen Abschnitten vorliegen. Die am 04.02.1926 noch nicht eingelösten Reichskassenscheine von 1874 waren schon zu diesem Zeitpunkt fast sämtlich verloren. Die Rücklaufzahlen im Zeitraum vor der Inflation vermitteln eine bessere Vorstellung von dem tatsächlich noch vorhandenen Volumen an Reichskassenscheinen.
Zusammenhang zwischen den Ausfertigungsmerkmalen
In „Das Deutsche Staatspapiergeld, S.188“ werden die Zusammenhänge zwischen den Ausfertigungsmerkmalen: Blatt (Folium, Folio, Seite), Reihe, Nummer und Littera (Buchstabe) wie folgt beschrieben:
„Die Reichs-Kassensscheine zu 5 Mark wurden in Reihen von 20 Blättern eingeteilt, jedes Blatt enthielt 5000 Nummern und auf jede Nummer kamen 12 Scheine mit den unterschiedlichen Buchstaben A bis M. Bei den Scheinen zu 20 und zu 50 Mark bestehen die Serien nur aus 5 Blättern und führten immer 8 Scheine die gleiche Nummer und zur Unterscheidung einen der Buchstaben A bis H.“ Der Buchstabe „i“ wurde also wohl nicht verwendet.
Es folgt die Beschreibung mehrerer Möglichkeiten der rechnerischen Ermittlung des Folium aus der Nummer, was jeweils auf eine Ganzzahldivison der Nummer durch 5000 hinausläuft, mit abschließender Addition von 1 zum Ergebnis, da die Foliozählung ja mit 1 und nicht mit 0 beginnt, also:
Folium = Ganzzahl (Nummer/5000) + 1
Aus dem zusätzlichen Hinweis, dass diese Prüfung für alle Mark-Scheine gelte, ergibt sich, dass auch bei den 20 und 50 Mark Abschnitten die Blätter jeweils 5000 Nummern enthielten. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse dieser Aussagen aus „Das Deutsche Staatspapiergeld“ zusammen.
Schlussfolgerung
Aus diesen Daten lässt sich bestimmen, wieviele Reihen der verschiedenen Abschnitte an Reichskassenscheinen unter den gerade geschilderten Randbedingungen benötigt werden, um die von der Reichs-Schuldenverwaltung nachgewiesen Volumina darzustellen. Ohne Berücksichtigung der bei der An- und Ausfertigung verdorbenen Reichskassenscheine sind dies:
Unter Berücksichtigung der 2.389.700 M, welche sich keinen Abschnitten konkret zuordnen lassen, sind auch 16 Serien an 5 Mark-Scheinen und 15 Serien an 20 Mark-Scheinen möglich.
Vergleich mit aktueller Literatur
"Die Varianten der Deutschen Reichsbanknoten 1876 bis 1914" (Stand 2008) enthält eine detaillierte Istaufstellung der bis dato aufgefundenen Exemplare der Reichskassenscheine von 1874. Wegen der im Laufe der Jahrzehnte erlittenen erheblichen Verluste, lassen sich mit einer Istaufstellung jedoch nicht immer alle ursprünglich vorhanden Varianten nachweisen. Die Ergebnisse der Bewertungen von Ist- und Sollwerten aus den unterschiedlichen Betrachtungsweisen dürfen sich jedoch nicht wiedersprechen. Dies ist für die Reichskassenscheine von 1874 auch nicht der Fall.
Offene Punkte
Offen bleibt, inwiefern die Buchstabenserien vollständig waren und inwieweit misslungene Scheine unter der Obhut der Reichsdruckerei vernichtet wurden, ohne in den Veröffentlichungen der Reichsschuldenverwaltung Platz zu finden. Bei kompletten Sätzen zu 5 M mit 12 Buchstaben = 60 M, 20 M mit 8 Buchstaben = 160 M und 50 M mit 8 Buchstaben = 400 M lässt sich das Gesamtvolumen an Reichskassenscheinen von 239.379.905 M jedenfalls nicht darstellen.
Die Aussage, dass es Reichskassenscheine zu 5 M mit 12 Buchstaben, nämlich von A-M, gegeben habe, ist wiedersprüchlich, da die Spanne von A-M 13 Buchstaben umfasst. Naheliegend ist, dass Scheine mit dem Buchstaben "i" nicht ausgeführt wurden. Dies wäre jedoch zu belegen (z.B. über den Nachweis von Exemplaren mit den Buchstaben A-H und J-M).
Literatur- und Bildnachweis
- Stenografische Berichte des Reichstages, Staatsbibliothek München
- Michael Schöne, Die Varianten der Deutschen Reichsbanknoten 1876 bis 1914, mhs, Pirna 2008
- Das Deutsche Staatspapiergeld, 1901 Reichsdruckerei Berlin, Reprint Gietl Verlag 1993