Das Notgeld des Reichsbahn-Hauptwerks Witten von 1923

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Einführung

Der ständig kritischer werdende Bargeldmangel im Sommer 1923 zwang auch kleinere Unternehmen, kommunale Behörden und untergeordnete Dienststellen z.B. von Reichsbahn und Reichspost dazu, eigenes Notgeld herauszugeben. Die Ausgabe von Gutscheinen für einen späteren Umtausch gegen gesetzliche Zahlungsmittel war weit verbreitet, meist nur einlösbar bei den örtlichen Banken oder Kassen der ausgebenden Institutionen.

Auch das Reichsbahn-Hauptwerk (RHW) Witten gab im August 1923 Gutscheine mit Nennwerten von Einer Million, Fünf Millionen, Zehn Millionen, Zwanzig Millionen, Fünfzig Millionen und Hundert Millionen Mark als eigenes Notgeld heraus.
Das Reichsbahn-Hauptwerk Witten ging aus der bereits 1863 gegründeten "Central-Werkstätte" der Bergisch-Märkischen Eisenbahn hervor. Diese benötigte als Folge der Erweiterung ihres Netzes im Ruhrgebiet und durch die Ruhr-Sieg-Strecke von Hagen nach Siegen eine zentral gelegene Hauptwerkstätte. Bereits 1882 besaß die Bergisch-Märkische Eisenbahn den größten Wagenpark aller deutschen Eisenbahnen. Bis zu 9.000 Wagen wurden monatlich in der Wittener Werkstatt überprüft, gewartet und repariert.
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach dem Ersten Weltkrieg hatten auch im "Reichsbahn-Hauptwerk Witten", wie es nun hieß, ihre Auswirkungen. Nachdem die Ausbesserung von Lokomotiven und Wagen in leistungsfähigere, neue Werke verlagert werden musste, entwickelte sich eine frühere Nebenfertigung zum Haupt-Betätigungsfeld des Werkes: die Produktion von Weichen und Kreuzungen. Unter dem Namen "Ausbesserungswerk Witten" hielt der Standort seine Position als einziges Weichenspezialwerk bis in die Zeit der Deutschen Bundesbahn [1].

Das Notgeld des Reichsbahn-Hauptwerks Witten

Alle Gutscheine wurden, offensichtlich weil geeignetes Druckpapier kaum noch zu beschaffen war, durch Überdrucken von unbenutzten Freifahrtscheinen hergestellt. Dabei wurden Vordrucke verschiedenster Art verwendet, von Fahrscheinen der ersten bis vierten Klasse bis hin zu Schlafwagen-Fahrscheinen. Die verwendeten Vordrucke stammten entweder aus Restbeständen der Reichseisenbahnen oder von der Deutschen Reichsbahn. Die unbedruckten Rückseiten der Vordrucke wurden relativ aufwendig durch einen dreifarbigen Aufdruck zur Vorderseite der Gutscheine gemacht. Die Fahrschein-Vorderseiten, jetzt Rückseiten der Gutscheine, wurden dann noch durch einen einfarbigen Aufdruck des Nennwertes und einen in gleicher Farbe ausgeführten Balkenüberdruck über die Schriftzüge "Fahrschein" und "Klasse" angepasst. Alle Überdrucke wurden von der Druckerei Koll in Witten ausgeführt [2]. Ähnliche Gutscheine sind auch vom Reichsbahn-Hauptwerk Recklinghausen bekannt.
Die Freifahrtscheine hatten als Echtheitsmerkmal einen je nach Herkunft der Vordrucke unterschiedlichen Prägestempel. Auf den vom Reichsbahn-Hauptwerk Witten verwendeten Vordrucken lassen sich vier verschiedene Prägestempel unterscheiden:

Bild 1: Prägestempel


Die zum Teil sehr unterschiedliche Deutlichkeit der Prägungen rührt vermutlich daher, dass immer mehrere Fahrscheine gleichzeitig in einem Prägevorgang bearbeitet wurden. Dabei wurden Scheine innen im Stapel dann oft nur sehr undeutlich geprägt. Auf den Gutscheinen über Fünfzig Millionen Mark kommt zusätzlich zum Prägestempel bei einigen auch noch ein Farbstempel der Eisenbahn-Direktion Essen vor.

Bild 2: Farbstempel D, Eisenbahndirektion Essen


Ein weiteres Sicherheitsmerkmal der Fahrschein-Vordrucke war die Verwendung von Papier mit dem Wasserzeichen "Flügelrad", dem traditionellen Symbol der Eisenbahnen.

Bild 3: Wasserzeichen Flügelrad


Alle Gutscheine zeigen als Ausgabedatum den 10. August 1923 und die Unterschrift "Dr. Moeller" (Oberbaurat Dr. Moeller, 1923-1924 Werkdirektor des RHW Witten, davor dort Leiter der Lokomotivwerkstätte). Zusätzlich ist das Dienstsiegel des Reichsbahn-Hauptwerks Witten aufgedruckt. Als Frist für den Ablauf der Gültigkeit werden 14 Tage nach öffentlichem Aufruf angegeben. Einlösbar waren die Gutscheine bei allen örtlichen Banken in Witten.
Die Kontrollnummern der Gutscheine entsprechen durchweg denen der jeweils verwendeten Fahrscheine. Dabei kommen nur fünfstellige Kontrollnummern vor, die zum Teil durch Hand-Nummeratorstempel aufgebracht wurden. Bei einigen Gutscheinvarianten weichen allerdings die Reihenangaben auf der Vorderseite von denen der verwendeten Fahrscheine ab.
Die folgenden Abbildungen zeigen für jeden Nennwert ein Beispiel, wobei die Auswahl der Beispiele auch die sehr unterschiedliche Ausführung der Aufdrucke und Kontrollnummern verdeutlichen soll. Bild 7 ist ein Beispiel für unterschiedliche Reihenangaben auf Vorder- und Rückseite. Eingelöste Gutscheine wurden häufig durch Lochung entwertet.

Bild 4: Gutschein über Eine Million Mark


Bild 5: Gutschein über Fünf Millionen Mark


Bild 6: Gutschein über Zehn Millionen Mark


Bild 7: Gutschein über Zwanzig Millionen Mark


Bild 8: Gutscheine über Fünfzig Millionen Mark, rechts der seltene "Schlafwagen-Schein"


Bild 9: Gutscheine über Einhundert Millionen Mark, rechts entwertet


Für die Überdrucke wurden keine Druckplatten durch einen Stecher angefertigt, sondern Text und Ornamente wurden von Hand aus einzelnen Lettern und Clichés gesetzt. Dabei ist es gelegentlich zu auffälligen Druckfehlern gekommen, wie z.B. am verrutschten, schief stehenden Nennwert im folgenden Bild 10 erkennbar ist. Hoher Zeitdruck war wohl auch die Ursache, dass Schreibfehler wie "Eine Millionen Mark" nicht gleich erkannt wurden. Daneben haben bisweilen auch Druckzufälligkeiten wie unvollständiger Druck, Abklatsche oder Farbfehler unerkannt die Druckerei verlassen. Man kann allerdings auch nicht völlig ausschließen, dass als Makulatur ausgesonderte Fehldrucke irgendwie auf den Sammlermarkt gelangt sind.

Bild 10: Druckfehler "schief stehender Nennwertaufdruck" und "Eine Millionen Mark"


Bei genauer Betrachtung kann man erkennen, dass die Länge des Wortes "Hinfahrt" auf der Rückseite zwischen 20mm und 22mm variiert [3]. Diese Unterschiede kommen selbst bei Fahrscheinen der selben Reihe und Herkunft vor, und auch wenn deren Kontrollnummern relativ nahe beieinander liegen. Der Grund dürfte auch hier sein, dass Textelemente für den Druck von Hand aus einzelnen Lettern gesetzt wurden. Eine eindeutige Systematik dieser Unterschiede über alle Reihen und Wertstufen ist nicht erkennbar.

Bild 11: unterschiedliche Drucklängen des Wortes "Hinfahrt"


Auf den Gutscheinen des Reichsbahn-Hauptwerks Witten lassen sich bei den Kontrollnummern sechs verschiedene Varianten unterscheiden. Die Zifferntypen von Vorder- und Rückseite sind dabei generell verschieden.

Bild 12: Übersicht der Nummeratorvarianten


Literatur und Bildnachweis

[1] 125 Jahre Ausbesserungswerk Witten, Jubiläumsschrift der DB, Witten 1988
[2] Adolf Melsa: Notgeld in Witten, Witten 1982
[3] Müller/Geiger/Grabowski: Deutsches Notgeld Band 13 - Das Papiergeld der deutschen Eisenbahnen und der Reichspost 2. Aufl. , Regenstauf 2016
[4] Dr. Arnold Keller: Das Notgeld der deutschen Inflation 1923 Teil II, München 1975
[5] Jochen Jos. Topp: Das Papiernotgeld von Westfalen, Dülmen 1998
Abbildungen aus der Sammlung des Autors