Das Notgeld der Vestischen Kleinbahnen von 1923
Einleitung
Die Vestische Kleinbahnen GmbH ging im Mai 1915 aus der Recklinghausener Straßenbahn hervor, die bereits im Juni 1899 durch sechs Kommunalverbände aus Recklinghausen und Umgebung als "Straßenbahn-Recklinghausen-Herten-Wanne" gegründet worden war. Heute firmiert die Gesellschaft unter dem Namen "Vestische Straßenbahnen GmbH" mit Firmensitz in Herten und ist Teil des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr. Der Namensteil "Vestische" geht dabei auf das ehemalige Vest Recklinghausen zurück, das schon im Mittelalter ein Gerichtsbezirk im Raum Recklinghausen war [1].
Auch die Vestische Kleinbahnen GmbH gab, wie viele andere Unternehmen, zur zeitweiligen Überbrückung des im Sommer 1923 vorherrschenden, inflationsbedingten Bargeldmangels eigenes Notgeld in Form von Gutscheinen heraus. Diese sollten, so der Aufdruck auf den Scheinen, von der Kasse des Unternehmens in Herten bis zum Ende der angegebenen Laufzeit an den Einlieferer in gesetzliche Zahlungsmittel umgetauscht werden.
Das Notgeld der Vestischen Kleinbahnen GmbH von 1923
Aufgrund des aufgedruckten Ausgabemonats lassen sich die Scheine vier Ausgabeperioden August, September, Oktober und November 1923 zuordnen. Bei keiner der Ausgaben ist ein Hinweis auf die ausführende Druckerei zu finden.
Die Scheine der ersten Ausgabe vom August 1923 umfassten die vier Nennwerte Fünfhunderttausend, Eine Million, Fünf Millionen und Zehn Millionen Mark. Auffällig ist das sehr inhomogene Erscheinungsbild dieser Scheine. Alle Scheine wurden nur einseitig auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt, allerdings weisen alle Scheine der August-Ausgabe als Sicherheitsmerkmal einzeilig den Schriftzug "VESTISCHE KLEINBAHNEN" als Trockenprägung auf. Die ebenfalls sehr ungleichmäßige Ausführung der Kontrollnummern deutet auf eine nachträgliche Nummerierung von Hand mit einem Nummeratorstempel hin.
Die gestaffelte Laufzeit der Scheine vom August 1923 lässt vermuten, dass diese je nach Bedarf gedruckt und nacheinander über den August verteilt ausgegeben wurden. So hatte der erste Schein über Fünfhunderttausend Mark eine Laufzeit bis zum 31. August, die nächsten dann bis zum 30. September, und die beiden letzten sogar bis zum 31. Dezember 1923.
Von dem Schein über Fünfhunderttausend Mark ist als höchste die Kontrollnummer 18552 nachgewiesen, so dass man etwa 20.000 gedruckte Exemplare annehmen kann. Die Scheine der August-Ausgabe mit Millionen-Mark-Nennwerten haben dagegen alle nur eine drei- oder vierstellige Kontrollnummer. Daraus lässt sich schließen, dass von diesen Scheinen jeweils höchstens eine Stückzahl im mittleren bis oberen vierstelligen Bereich hergestellt wurde. Dies könnte die relative Seltenheit dieser Scheine auf dem Sammlermarkt erklären.
Die Scheine der zweiten Ausgabe mit Datum September 1923 und den Nennwerten Zehn Millionen, Fünfzig Millionen und Hundert Millionen Mark hatten dann ein einheitliches Aussehen und wurden doppelseitig auf Banknotenpapier mit Wasserzeichen gedruckt. Alle Scheine hatten dieselbe Laufzeitangabe bis zum 31. Dezember 1923.
Die Kontrollnummern dieser Scheine sind sechsstellig mit führender Null und wurden durch ein Nummerierwerk am Ende des Druckprozesses in der Druckerei aufgedruckt. Allerdings enden die bekannten Nummernkreise knapp oberhalb von 025000 mit der höchsten dokumentierten Kontrollnummer 025182, so dass man von etwa 25.000 gedruckten Exemplaren pro Nennwert ausgehen kann.
Für die beiden Scheine über Zehn Millionen Mark wurde Papier mit dem Wasserzeichen "verschlungene Kreise" (Lehrke Nr. 178 [3]) und für die beiden anderen Papier mit dem Wasserzeichen "Hammerschild" (Lehrke Nr. 251 [3]) verwendet.
Der Grund, warum für die beiden Scheine über Zehn Millionen Mark zwei verschiedene Farben verwendet wurden, konnte noch nicht gesichert geklärt werden. Ausgehend von bisher belegten Nummernkreisen der Kontrollnummern kann man vermuten, dass es sich hier um zwei getrennte, zeitlich aufeinander folgende Druckaufträge handelte - die höchste belegte KN der "grünen" Ausgabe ist bisher 14345, die niedrigste der "braunen" ist 15511.
Für die dritte Ausgabe vom Oktober 1923 mit den Nennwerten Fünfhundert Millionen, Eine Milliarde und vermutlich auch Zehn Milliarden Mark wurde das Druckbild erneut geändert. Auch diese Scheine wurden zweiseitig auf Banknotenpapier, jetzt mit dem Wasserzeichen Schleifenkreuz (Lehrke Nr. 184 [3]) gedruckt. Sie hatten, wie die vom September, auch eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 1923.
Die höchste dokumentierte Kontrollnummer für den Fünfhundert Millionen Mark Nennwert ist 030106, die für den Eine Milliarde Mark Nennwert ist 034930. Über den Zehn Milliarden Mark Nennwert ist nur wenig bekannt. Es bestehen Zweifel ob er wirklich ausgegeben wurde.
Die vierte und letzte Ausgabe vom November 1923 mit den Nennwerten Hundert Milliarden und Fünfhundert Milliarden Mark, ebenfalls mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 1923, wurde mit nur leicht verändertem Druckbild gedruckt, jedoch diesmal ohne Druck auf der Rückseite. Der Schein über Hundert Milliarden Mark wurde wieder auf Papier mit dem Wasserzeichen Schleifenkreuz gedruckt, für den Fünfhundert Milliarden Mark Schein wurde dagegen ein anderes Papier mit dem Wasserzeichen "Achteckfluss" (Lehrke Nr. 189 [3]) verwendet.
Beide Scheine kommen hauptsächlich in kassenfrischer Erhaltung mit ein- oder zweimaliger Stempelung "Ungültig" oder mit der Perforation "BEZAHLT" vor. Dies deutet darauf hin, dass diese Scheine wohl nur noch in geringem Umfang in Umlauf gesetzt wurden, und die so markierten Scheine vermutlich Sammlerscheine aus nicht mehr verausgabten Restbeständen sind. Vereinzelt findet man die Perforation "BEZAHLT" aber auch auf gebrauchten Scheinen ab der August-Ausgabe; dort als Markierung, dass diese Gutscheine eingelöst wurden.
Die höchste dokumentierte Kontrollnummer für den Hundert Milliarden Mark Nennwert ist bisher 008496, die höchste für den Fünfhundert Milliarden Mark Nennwert ist bisher 034000.
Alle ausgegebenen Scheine tragen nur die eine Unterschrift des damaligen Generaldirektors Heinrich Arnold, der von der Gründung 1915 bis zu seinem Ruhestand 1933 die Vestische Kleinbahnen GmbH leitete [4]. Die Signatur wurde nicht mitgedruckt, sondern erst nach dem Druck durch einen Unterschriftenstempel von Hand aufgebracht. Dabei lassen sich bei den Stempeln zwei Varianten a und b unterscheiden. Der größere (a) kam nur bei den Scheinen vom August 1923 zu Anwendung, der kleinere (b) bei allen folgenden.
Während der Hochinflation im Sommer und Herbst 1923 waren praktisch alle Druckereien und Papierfabriken rund um die Uhr damit beschäftigt, den gigantischen Bedarf an Papiergeld zu befriedigen. Dass bei solchem Zeitdruck Produktionsfehler vorkommen und unentdeckt bleiben ist eigentlich verständlich. Von dem in Bild 2 gezeigten Schein über 1 Million Mark ist z.B. auch ein Fehldruck bekannt, bei dem die Bögen mit dem Unterdruck um 180° gedreht in die Druckmaschine eingelegt wurden, wie an dem Flügelrad in Bild 10 zu erkennen ist:
Abschließend noch eine Anmerkung zur damaligen Kaufkraft dieser Notgeldscheine. Trotz der scheinbar hohen Nennwerte waren alle Scheine lediglich Ersatz für Kleinbeträge. Am 20. August 1923 betrug z. B. der Dollarkurs bereits 4,2 Millionen Papiermark, d.h. die Kaufkraft des Eine Million Mark Scheins entsprach gerade mal knapp 24 Cent nordamerikanischer Währung. Anschaulicher als der etwas abstrakte Wechselkurs ist vielleicht ein Vergleich mit damaligen Lebensmittelpreisen. Eine Million Papiermark, das war Anfang August 1923 etwa der Preis für ein Pfund Fleisch, oder 10 kg Kartoffeln. Am 28. September 1923, dem letzten Banktag bevor die Laufzeit des zweiten Gültigkeitszeitraums zum 30. September endete, waren die Scheine so gut wie wertlos: der Dollarkurs war jetzt auf 160 Millionen Papiermark gestiegen, d.h. selbst der Zehn Millionen Mark Schein war gerade mal noch ca. 6 Cent wert.
In der zweiten Oktoberhälfte 1923 war der Dollarkurs von 3,76 Milliarden (15. Oktober) auf 73 Milliarden (31. Oktober) Papiermark geschnellt. Somit waren auch die beiden neuen Nennwerte der November-Ausgabe über Hundert und Fünfhundert Milliarden Mark bereits bei der Ausgabe Kleingeld, und nur drei Wochen später, als der Dollarkurs am 20. November endgültig bei 4,20 Billionen Papiermark fixiert wurde, praktisch nur noch Altpapier. Aus diesem Grund wurden diese Scheine wohl nur noch in geringem Umfang in Umlauf gesetzt. Dieses könnte die gut erhaltenen Milliardenscheinen der Vestischen Kleinbahnen GmbH auf dem Sammlermarkt erklären, die wohl überwiegend aus nicht mehr verausgabten Restbeständen stammen.
Literatur- und Bildnachweis
[1] Axel Reuther (Hrsg.): Die Vestische – Strassenbahn Magazin Spezial Nr. 25, 2013
[2]Müller/Geiger/Grabowski: Deutsches Notgeld Band 13 - Das Papiergeld der deutschen Eisenbahnen und der Reichspost 2. Aufl. , Regenstauf 2016
[3]Kurt Lehrke: Deutsche Wertpapierwasserzeichen, Berlin 1954
[4]Vestische Straßenbahn GmbH (Hrsg.): Auf Linie - 100 Jahre Vestische Straßenbahn, Herten 2001
Abbildungen aus der Sammlung des Autors