Kiautschou: Unterschied zwischen den Versionen
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− | + | Kiautschou ist von vornherein, im Unterschied zu den anderen deutschen Schutzgebieten, eine reine Handelskolonie gewesen, die dem Güteraustausch zwischen dem deutschen und dem riesigen chinesischen Reich dienen sollte. Im Laufe des 19.Jahrhunderts war China infolge seiner politischen Ohnmacht gezwungen worden, seine bisherige Absperrung aufzugeben und seine Grenzen dem Welthandel zu öffnen. Die großen europäischen Handelsmächte, in erster Linie England, und neben ihnen die USA und Japan waren an der wirtschaftlichen Durchdringung Chinas beteiligt. Auch Deutschland, durch seine dichte Bevölkerung auf eine starke Ausfuhr angewiesen, mußte bestrebt sein, sich einen Anteil am Chinahandel zu sichern. Bei der weiten Entfernung Ostasiens war dafür ein fester Stützpunkt im Laand selbst notwendig, besonders da die innere Sicherheit in China recht mangelhaft war. Das zeigt die Ermordung zweier deutscher katholischer Missionare in China, die Deutschland zum Anlaß nahm, um am 14.November 1897 durch den Admiral Diederichs einen Platz an der Küste der Halbinsel Schantung in Besitz zu nehmen, und zwar den Ort Tsingtau in der Kiautschou-Bucht, auf deren Bedeutung der deutsche Geograph Ferdinand v. Richthofen schon 1882 hingewiesen hatte. Der Besetzung Tsingtaus durch das deutsche Kreuzergeschwader folgten gütliche Verhandlungen mit der chinesischen Regierung, und sie führten am 6.März 1898 zu einem Vertrag, der Deutschland die Bucht pachtweise auf 99 Jahre überließ. Außerdem wurde ein 50 km breiter Streifen um das eigentliche Schutzgebiet herum als neutrale Einflußzone anerkannt.<br> | |
− | + | Dem Grundgedanken der Niederlassung gemäß war das eigentliche Schutzgebiet als rein wirtschaftlicher Stützpunkt nur klein. Es umfaßte einschließlich der dazugehörigen 25 Inseln 551,65 km² Landfläche und außerdem eine Wasserfläche von 576,5 km². Dazu kam der halbkreisförmig darumgelagerte 50 km breite Streifen deutschen Einflußgebietes, der zwar unter chinesischer Verwaltung blieb, in dem aber Deutschland besondere Vorrechte besaß. Damit hatte Deutschland auch einen erheblichen direkten oder indirekten Einfluß auf das nähere Hinterland Schantung, das auf einer Fläche von 144.000 km² eine Bevölkerung von 38 Millionen zählte, etwa ebensoviel wie zu diesem Zeitpunkt Frankreich. | |
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+ | Das Bergland von Schantung steigt inselartig aus den Ebenen Nordchinas auf. Es wird von der Kiaulai-Senke durchzogen, die quer durch ganz Schantung verläuft und geradewegs bis zur Kiautschou-Bucht durchstößt. Damit schafft sie einen natürlichen Weg ins Landesinnere.<br> | ||
+ | '' Nähert man sich der Kolonie von See her, so grüßen zur Rechten schon von Ferne die einer Dolomiten-Kette vergleichbaren nackten, zackigen Gipfel des Lauschan, die im Lauting (1130m) bis zur Brockenhöhe ansteigen und bis dicht an das Meer herangehen. Es folgen der Kaiserstuhl, die Prinz-Heinrich und schließlich in nächster Nähe Tsingtaus die durch deutsche Forstkunst jetzt wieder grün bewaldeten Iltisberge. Auf der gegenüberliegenden Seite wird der Eingang der Bucht, unmittelbar am Kap Jaeschke beginnend, von den Haihsi-Bergen flankiert, denen sich das 800 m hohe imposante Perlgebirge anschließt.''<br> | ||
+ | Das infolge der Waldverwüstung der Chinesen fast baumlose Land ist eine ausgesprochene Kulturlandschaft, in der die fleißigen chinesischen Bauern auf beetartigen Feldchen, die, oft terrassiert, den Hang weit hinaufreichen, in zweijährigem Wechsel drei Ernten erzielen. Dem gemäßigten Klima entsprechend, finden wir die uns vertrauten Pflanzen und Früchte auch hier. Im Winter herrschen kalte und trockene, oft stürmische nordwestliche Winde vor. Im Sommer sind bei großer Luftfeuchtigkeit wolkenbruchartige Regen nicht selten. | ||
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+ | '''Kiautschou unter deutscher Herrschaft''' | ||
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+ | Zur Zeit der Übernahme des Schutzgebietes im Jahr 1897 betrug die Bevölkerung 83000; im Jahre 1913 war sie bereits auf 191.984 angewachsen - ein Beweis für die gute Entwicklung , die das Gebiet genommen hatte. Um das zu erreichen, war es nötig gewesen, eine Stadt mit modernem Hafen und Verkehrsverbindungen zu schaffen. Bis 1904 waren die grundlegenden Arbeiten dafür beendet. Die Mole I des großen Hafens für Ozeandampfer war fertigestellt und die rund 400 km lange Eisenbahnstrecke Tsinanfu in Betrieb genommen.<br> | ||
+ | Die Stadtgründung Tsingtau selbst trat an Stelle von einigen schmutzigen chinesischen Dörfern. Obgleich die Hafenanlagen auf der Nordwestseite der Halbinsel entstehen mußten, entwickelte sich die Stadt an der Südseite in der Nähe des Dorfes Tsingtau, da hier bereits eine Landungsbrücke vorhanden war. Außer klimatischen Gründen kam für die Platzwahl die Absicht hinzu, Europäer- und Chinesenwohngebiete zu trennen. So lag die moderne Europäerstadt an der Tsingtau- und Auguste-Viktoria-Bucht. Von den alten chinesischen Dörfern blieb nur der ''Yamen'' mit seiner Drachenmauer, die ehemalige Wohnung des chinesischen Befehlshabers, und ein taoistischer Tempel als Beispiel der Anmut und Linienschönheit chinesischer Baukunst erhalten. Auf der Nordseite der Halbinsel lag die Chinesenstadt Tapautau, die 1913 53.000 Einwohner hatte und bereits mit der Europäerstadt zummengewachsen war. Mit der Fertigstellung des großen Hafens entwickelte sich an diesem ein dritter Stadtteil.<br> | ||
+ | Die Bedeutung Tsingtaus als Handelsplatz stieg ständig, so daß es die großen Schifffahrtslinien bald im direkten Europaverkehr anzulaufen begannen. Doch nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell wurde Deutschlands Einfluß wichtig. Dies drückte sich besonders in der Gründung der Deutsch-Chinesischen Universität aus, die von der chinesischen Regierung als Vorbereitung für die Staatslaufbahnen anerkannt wurde und damit vollwertig neben den chinesischen Bildungsstätten stand.<br> | ||
+ | So hatte Kiautschou alle Hoffnungen erfüllt, und die drei Jahrzehnte zurückliegenden Voraussagen v. Richthofens schienen sich bewahrheiten zu wollen, als der Ausbruch des 1.Weltkrieges die Brandfackel auch in diese friedliche Werk deutscher Schaffenskraft trug und um die Früchte harter Arbeit brachte.<br> | ||
+ | Tsingtau war nur von feldmäßigen Befestigungen umgeben und konnte, da die Friedensbesatzung nur rund 2.400 Mann betrug, nicht mehr als 4.000 Verteidiger stellen. Schon am 16.August 1914 stellte Japan die Forderung, daß ihm das gesamte Pachtgebiet bedingungslos und ohne Entschädigung übergeben wurde. So schnell war dies von den deutschen Verteidigern nicht zu erzwingen. Selbst als die japanische Flotte jede Verbindung mit der See abgeschnitten und japanische Truppen den Belagerungskreis auf dem Lande geschlossen hatten, konnte erst eine neuntägige Beschießung von See und Land her die völlig erschöpfte Besatzung, die weiteres sinnloses Blutvergießen vermeiden wollte, am 7.November 1914 zur Waffenstreckung veranlassen. Kurz vorher hatte der ''Flieger von Tsingtau'' Gunther Plüschow, nachdem er wertvolle Aufklärungsarbeit geleistet hatte, den Befehl erhalten, in die Freiheit zu fliegen. Die gesamte Besatzung wurde in eine mehr als 5 Jahre dauernde japanische Gefangenschaft abgeführt; Regierungs- und Privateigentum wurden beschlagnahmt. Lange blieben die Japaner nicht im Besitz von Kiautschou; denn unter dem Druck der angelsächsischen Weltmächte mußten sie am 6.Februar 1922 das Gebiet mit allen seinen wertvollen Anlagen an China zurückgeben. | ||
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+ | '''Deutsch-Kiautschou, Ro-1001, 5 Dollars''' | ||
+ | [[Bild:Ro1001 germania.jpg|thumb|none|300px]] | ||
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+ | Quelle: Deutsche Kolonien; Georg Gellert; Dresden; 1936 |
Aktuelle Version vom 12. Januar 2009, 16:49 Uhr
Erwerbung
Kiautschou ist von vornherein, im Unterschied zu den anderen deutschen Schutzgebieten, eine reine Handelskolonie gewesen, die dem Güteraustausch zwischen dem deutschen und dem riesigen chinesischen Reich dienen sollte. Im Laufe des 19.Jahrhunderts war China infolge seiner politischen Ohnmacht gezwungen worden, seine bisherige Absperrung aufzugeben und seine Grenzen dem Welthandel zu öffnen. Die großen europäischen Handelsmächte, in erster Linie England, und neben ihnen die USA und Japan waren an der wirtschaftlichen Durchdringung Chinas beteiligt. Auch Deutschland, durch seine dichte Bevölkerung auf eine starke Ausfuhr angewiesen, mußte bestrebt sein, sich einen Anteil am Chinahandel zu sichern. Bei der weiten Entfernung Ostasiens war dafür ein fester Stützpunkt im Laand selbst notwendig, besonders da die innere Sicherheit in China recht mangelhaft war. Das zeigt die Ermordung zweier deutscher katholischer Missionare in China, die Deutschland zum Anlaß nahm, um am 14.November 1897 durch den Admiral Diederichs einen Platz an der Küste der Halbinsel Schantung in Besitz zu nehmen, und zwar den Ort Tsingtau in der Kiautschou-Bucht, auf deren Bedeutung der deutsche Geograph Ferdinand v. Richthofen schon 1882 hingewiesen hatte. Der Besetzung Tsingtaus durch das deutsche Kreuzergeschwader folgten gütliche Verhandlungen mit der chinesischen Regierung, und sie führten am 6.März 1898 zu einem Vertrag, der Deutschland die Bucht pachtweise auf 99 Jahre überließ. Außerdem wurde ein 50 km breiter Streifen um das eigentliche Schutzgebiet herum als neutrale Einflußzone anerkannt.
Dem Grundgedanken der Niederlassung gemäß war das eigentliche Schutzgebiet als rein wirtschaftlicher Stützpunkt nur klein. Es umfaßte einschließlich der dazugehörigen 25 Inseln 551,65 km² Landfläche und außerdem eine Wasserfläche von 576,5 km². Dazu kam der halbkreisförmig darumgelagerte 50 km breite Streifen deutschen Einflußgebietes, der zwar unter chinesischer Verwaltung blieb, in dem aber Deutschland besondere Vorrechte besaß. Damit hatte Deutschland auch einen erheblichen direkten oder indirekten Einfluß auf das nähere Hinterland Schantung, das auf einer Fläche von 144.000 km² eine Bevölkerung von 38 Millionen zählte, etwa ebensoviel wie zu diesem Zeitpunkt Frankreich.
Natur
Das Bergland von Schantung steigt inselartig aus den Ebenen Nordchinas auf. Es wird von der Kiaulai-Senke durchzogen, die quer durch ganz Schantung verläuft und geradewegs bis zur Kiautschou-Bucht durchstößt. Damit schafft sie einen natürlichen Weg ins Landesinnere.
Nähert man sich der Kolonie von See her, so grüßen zur Rechten schon von Ferne die einer Dolomiten-Kette vergleichbaren nackten, zackigen Gipfel des Lauschan, die im Lauting (1130m) bis zur Brockenhöhe ansteigen und bis dicht an das Meer herangehen. Es folgen der Kaiserstuhl, die Prinz-Heinrich und schließlich in nächster Nähe Tsingtaus die durch deutsche Forstkunst jetzt wieder grün bewaldeten Iltisberge. Auf der gegenüberliegenden Seite wird der Eingang der Bucht, unmittelbar am Kap Jaeschke beginnend, von den Haihsi-Bergen flankiert, denen sich das 800 m hohe imposante Perlgebirge anschließt.
Das infolge der Waldverwüstung der Chinesen fast baumlose Land ist eine ausgesprochene Kulturlandschaft, in der die fleißigen chinesischen Bauern auf beetartigen Feldchen, die, oft terrassiert, den Hang weit hinaufreichen, in zweijährigem Wechsel drei Ernten erzielen. Dem gemäßigten Klima entsprechend, finden wir die uns vertrauten Pflanzen und Früchte auch hier. Im Winter herrschen kalte und trockene, oft stürmische nordwestliche Winde vor. Im Sommer sind bei großer Luftfeuchtigkeit wolkenbruchartige Regen nicht selten.
Kiautschou unter deutscher Herrschaft
Zur Zeit der Übernahme des Schutzgebietes im Jahr 1897 betrug die Bevölkerung 83000; im Jahre 1913 war sie bereits auf 191.984 angewachsen - ein Beweis für die gute Entwicklung , die das Gebiet genommen hatte. Um das zu erreichen, war es nötig gewesen, eine Stadt mit modernem Hafen und Verkehrsverbindungen zu schaffen. Bis 1904 waren die grundlegenden Arbeiten dafür beendet. Die Mole I des großen Hafens für Ozeandampfer war fertigestellt und die rund 400 km lange Eisenbahnstrecke Tsinanfu in Betrieb genommen.
Die Stadtgründung Tsingtau selbst trat an Stelle von einigen schmutzigen chinesischen Dörfern. Obgleich die Hafenanlagen auf der Nordwestseite der Halbinsel entstehen mußten, entwickelte sich die Stadt an der Südseite in der Nähe des Dorfes Tsingtau, da hier bereits eine Landungsbrücke vorhanden war. Außer klimatischen Gründen kam für die Platzwahl die Absicht hinzu, Europäer- und Chinesenwohngebiete zu trennen. So lag die moderne Europäerstadt an der Tsingtau- und Auguste-Viktoria-Bucht. Von den alten chinesischen Dörfern blieb nur der Yamen mit seiner Drachenmauer, die ehemalige Wohnung des chinesischen Befehlshabers, und ein taoistischer Tempel als Beispiel der Anmut und Linienschönheit chinesischer Baukunst erhalten. Auf der Nordseite der Halbinsel lag die Chinesenstadt Tapautau, die 1913 53.000 Einwohner hatte und bereits mit der Europäerstadt zummengewachsen war. Mit der Fertigstellung des großen Hafens entwickelte sich an diesem ein dritter Stadtteil.
Die Bedeutung Tsingtaus als Handelsplatz stieg ständig, so daß es die großen Schifffahrtslinien bald im direkten Europaverkehr anzulaufen begannen. Doch nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell wurde Deutschlands Einfluß wichtig. Dies drückte sich besonders in der Gründung der Deutsch-Chinesischen Universität aus, die von der chinesischen Regierung als Vorbereitung für die Staatslaufbahnen anerkannt wurde und damit vollwertig neben den chinesischen Bildungsstätten stand.
So hatte Kiautschou alle Hoffnungen erfüllt, und die drei Jahrzehnte zurückliegenden Voraussagen v. Richthofens schienen sich bewahrheiten zu wollen, als der Ausbruch des 1.Weltkrieges die Brandfackel auch in diese friedliche Werk deutscher Schaffenskraft trug und um die Früchte harter Arbeit brachte.
Tsingtau war nur von feldmäßigen Befestigungen umgeben und konnte, da die Friedensbesatzung nur rund 2.400 Mann betrug, nicht mehr als 4.000 Verteidiger stellen. Schon am 16.August 1914 stellte Japan die Forderung, daß ihm das gesamte Pachtgebiet bedingungslos und ohne Entschädigung übergeben wurde. So schnell war dies von den deutschen Verteidigern nicht zu erzwingen. Selbst als die japanische Flotte jede Verbindung mit der See abgeschnitten und japanische Truppen den Belagerungskreis auf dem Lande geschlossen hatten, konnte erst eine neuntägige Beschießung von See und Land her die völlig erschöpfte Besatzung, die weiteres sinnloses Blutvergießen vermeiden wollte, am 7.November 1914 zur Waffenstreckung veranlassen. Kurz vorher hatte der Flieger von Tsingtau Gunther Plüschow, nachdem er wertvolle Aufklärungsarbeit geleistet hatte, den Befehl erhalten, in die Freiheit zu fliegen. Die gesamte Besatzung wurde in eine mehr als 5 Jahre dauernde japanische Gefangenschaft abgeführt; Regierungs- und Privateigentum wurden beschlagnahmt. Lange blieben die Japaner nicht im Besitz von Kiautschou; denn unter dem Druck der angelsächsischen Weltmächte mußten sie am 6.Februar 1922 das Gebiet mit allen seinen wertvollen Anlagen an China zurückgeben.
Deutsch-Kiautschou, Ro-1001, 5 Dollars
Quelle: Deutsche Kolonien; Georg Gellert; Dresden; 1936